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Do, 19.09.2024 10:50
pts20240919021 Medien/Kommunikation, Politik/Recht
Causa um Pressefreiheit im ORF-Newsroom vor Gericht
ORF-Redakteurin Sonja Sagmeister fordert vom ORF Rücknahme der Kündigung und Wiedereinstellung
Wien (pts021/19.09.2024/10:50) - Dass unabhängiger Journalismus in Österreich immer stärker unter Druck gerät, erfährt die langjährige ORF-Korrespondentin und Journalistin Sonja Sagmeister (49) derzeit am eigenen Leib. Nachdem sie konzertierte Interventionen der Pressestelle im Wirtschaftsministerium und ihrer ORF-Vorgesetzten zurückwies, wurde sie mit Repressalien bis hin zur Kündigung konfrontiert. Der Fall wird ab 9. Oktober vor Gericht beleuchtet. Widerstand gegen "bestellte" Interviews Laut eigenen Angaben wurde die international anerkannte Wirtschaftsjournalistin von der ORF-Ressortleiterin aus Niederösterreich wiederholt unter Druck gesetzt. So sollte sie etwa einen inhaltlich vom Wirtschaftsministerium vorgegebenen Themenblock "Arbeitsmarkt & Budget" in der "Zeit im Bild" (ZIB) für den amtierenden Wirtschaftsminister Martin Kocher auf Sendung zu bringen. Dieses "bestellte" Interview war Anlass für die ORF-Redakteurin, sich zu wehren. Ein Interview auf Wunschthemen zu beschränken, komme für sie nicht in Frage, sagt die Wirtschaftsredakteurin. Sonja Sagmeister ist seit 20 Jahren festangestellte ORF-Mitarbeiterin und konnte auch im ZIB-Newsroom immer unbeeinflusst und kritisch arbeiten. Gegenüber dem Ministerium und ihren ORF Kollegen argumentiert sie daher nur konsequent: "'Zeit im Bild'-Journalisten sind KEINE Mikrofonständer." Im konkreten TV-Interview mit Wirtschaftsminister Martin Kocher stellte sie so auch kritische Fragen zur damals aktuellen, österreichischen Rekord-Inflation und deren Einfluss auf die Gehälter der Österreicherinnen und Österreicher. Zurück im Newsroom bekam sie an einem Freitag die telefonische Anweisung der ORF-Ressortleiterin zu Sendeinhalt und Sendeplatz – "wie ausgemacht in der Zeit im Bild am Sonntag". Da sich die Redakteurin nicht an die Abmachung zwischen Wirtschaftsministerium und ORF-Wirtschaftsressort halten wollte, machte die Leiterin des Wirtschaftsressorts deutlich, dass die Redakteurin "rote Linien überschritten" habe. Das dazu von Sonja Sagmeister erstellte und an die Generaldirektion geschickte interne Protokoll erzeugte im Haus überraschenderweise Widerstand. Denn - wie im ORF systematisch interverniert wird, hat das Printmagazin "Dossier" – unter Verweis auf einen internen Kommissionsbericht des ORF – kürzlich aufgedeckt. Nahezu 50 ORF-Redakteurinnen und Redakteure gaben darin an, seit Jahren unter politischer Einflussnahme zu leiden und lange geschwiegen zu haben. ORF-Redakteursstatut ohne faktische Gültigkeit Als Mitarbeiterin der "Zeit im Bild"-Redaktion konnte Sonja Sagmeister über Jahrzehnte unbeeinflusst arbeiten. Sie kritisierte daher offen die konzertierte Einflussnahme durch das Wirtschaftsministerium und ihrer Ressortleiterin aus Niederösterreich – unter Verweis auf das ORF-Redakteursstatut, das die Unabhängigkeit des Journalismus im Österreichischen Rundfunk klar und deutlich schützt. Die Folge waren ab diesem Zeitpunkt arbeitsrechtliche Schikanen, Zwangsurlaub und die vorübergehende Weigerung, sie in der üblichen Dienstplanung zu berücksichtigen. Kündigung nach 30 Jahren Wirtschaftsberichterstattung Noch schlimmer: Nach 30 Jahren als versierte und im Newsroom erfolgreiche ORF-Journalistin muss Sonja Sagmeister dann über Monate hinweg Nachrufe auf noch lebende Personen aus Archivmaterial bearbeiten (Nekrothek-Beauftragte), während ihre Recherche-Vorschläge zu tagesaktuellen Wirtschaftsthemen am laufenden Band abgelehnt werden. Als sie gegen die Versetzung ins "Todesarchiv" klagt, wird sie vom Personalchef des ORF gekündigt und für ein Jahr freigestellt. Das Kündigungsschreiben trägt die persönliche Unterschrift von Generaldirektor Roland Weißmann. ORF weist Vorwürfe zurück Während Sagmeister nun seit einem Jahr vom ORF freigestellt ist, hat das ORF-Management für die involvierte Ressortleiterin aus Niederösterreich eine neue Aufgabe gefunden und mit Redaktionsagenden im "Hohen Haus" (ORF-Parlamentsredaktion) betraut. Sonja Sagmeister hat sich indessen an die Arbeiterkammer gewandt und als Arbeitnehmerin und Journalistin Rechtsschutz erhalten. Sie geht davon aus, dass ihre Kündigung vollkommen überzogen ist. Der ORF weist hingegen alle Vorwürfe zurück. Alles sei mit rechten Dingen zugegangen. Auf offizielle Solidaritätsaktionen ihrer KollegInnen kann die langjährige ORF-Redakteurin Sonja Sagmeister nicht hoffen, da diese um Job und Einkommen fürchten. Medien stehen aktuell nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich unter hohem Druck. Doch, so argumentiert die Journalistin, im Sinne von Hugo Portisch sollten gerade ORF-Redakteure im Interesse der Gebührenzahler recherchieren und weder Partei- noch Regierungsinteressen dienen. Auch das jüngst ergangene Urteil des Verwaltungsgerichtshofes sieht – aufgrund des zu hohen politischen Einflusses – Handlungsbedarf bei den ORF-Gremien. Wiederbeschäftigung als ORF-Redakteurin Sonja Sagmeister hat sich externe Unterstützung geholt, um auf die grundsätzliche Dimension ihres Falles und ihrer Kündigung hinzuweisen. Wenn Meinungs- und Pressefreiheit im Sinne der Verfassungsgrundsätze beim ORF eine tragende Säule der Berichterstattung darstellen, dann sollten RedakteurInnen in der praktischen Arbeit auch entsprechend geschützt sein. Sie hofft daher, dass eine Rücknahme der Kündigung und eine Wiederherstellung ihres Redakteursstatus im ORF möglich ist.
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